Rheingau/ Untertaunus/ Wiesbaden Wochenblatt
Vor allem Grundschullehrer fehlen
Thema Lehrermangel: Die Situation in Wiesbaden und dem Rheingau-Taunus-Kreis
von Alexander Weiß
Eine ausreichende Zahl an Lehrkräften ist Grundvoraussetzung für guten Unterricht. Foto: Kzenon/Fotolia.de
Die Corona-Pandemie stellt Schüler, Lehrer und Eltern vor eine zusätzliche Belastungsprobe. Die Hygieneauflagen des Landes erschweren derzeit den Schulalltag – wenn auch eingeschränkt, ist es so jedoch möglich, den Präsenzunterricht am Laufen zu halten. „Diese Herausforderungen zu meistern, gelingt nur, weil an unseren Schulen hervorragende Arbeit geleistet wird. Dank der beispielhaften Einsatzbereitschaft aller Beteiligten ist es gelungen, unsere Schülerinnen und Schüler im Lernprozess zu halten und ihnen ein Stück weit schulische Normalität zurückgeben zu können“, sagte Kultusminister Alexander Lorz (CDU) in seiner Regierungserklärung im September.
Auf das Lehrerpersonal habe sich Corona nur marginal ausgewirkt. Aus dem hessischen Kultusministerium heißt es dazu, dass sich seit Beginn des neuen Schuljahres die Schulen nicht als Treiber der Pandemie gezeigt haben. Mindestens 97 Prozent der Lehrer hätten Präsenzunterricht in der Schule halten können. Und an jedem Tag wären mehr als 99 Prozent der Schüler anwesend gewesen, heißt es aus dem Kultusministerium. Einen Lehrermangel generell beklagt dagegen seit vielen Jahren der Stadtelternbeirat Wiesbaden (StEB). „Nach Schätzungen fehlen in Hessen zurzeit mehrere hundert Grundschullehrkräfte und auch andere Schulformen und Mangelfächer sind betroffen“, sagt Vorsitzende Sabine Fuchs-Hintze und beruft sich dabei auch auf die Prognose der „Bertelsmann-Stiftung“, wonach bis 2025 über 26 000 Grundschullehrer fehlen würden. „Ist die Personaldecke so dünn wie derzeit, führt jeder Ausflug, jede Elternzeit und jede Erkrankung eines Lehrers gleich zum Unterrichtsausfall“, erklärt Fuchs-Hintze. Das Fehlen werde nicht statistisch erhoben, so die StEB-Vorsitzende weiter, es sei noch nicht einmal ganz klar, was darunter zähle. Denn in der Politik werde es oft nicht als Unterrichtsausfall gewertet, wenn Schüler zwar keinen Unterricht hätten, aber in der Schule „aufbewahrt“ oder über den Korridor von einem Lehrer der Nachbarklasse „mit beaufsichtigt“ würden. Gerade die Situation in den Grundschulen betrachtet Fuchs-Hintze mit Sorge, zumal dort die „Basisarbeit“ gemacht werde: „Was in den ersten Schuljahren versäumt wird, insbesondere beim Schriftund Spracherwerb, beeinträchtigt den ganzen Bildungsweg der Kinder. Statt Förderung erfahren sie schon früh Schulversagen und Entmutigung.“
Positiv sieht die StEB-Vorsitzende den Vorstoß der Landesregierung, die Lehrerausbildung auszuweiten und die Besoldung der Grundschullehrer zu erhöhen. Bis jedoch mehr Lehrer in den Schulen seien, benötige es eben Zeit. Die aktuelle Corona-Situation habe dazu geführt, dass viele Lehrer weiterhin ihrem Dienst nachgehen, da sie sich ihren Schülern verpflichtet fühlen. Modelle wie den Distanzunterricht sieht die StEB-Vorsitzende kritisch, zumal die Schulen dafür „weder personell, noch technisch, noch räumlich, noch konzeptionell“ vorbereitet seien. „Wir brauchen mehr, gut
und zeitgemäß ausgebildete Lehrer, nicht nur für die Grundschulen. Wir müssen ehrlich sein, den Stundenausfall und den Lehrernotstand ganz klar benennen und die notwendigen Maßnahmen ergreifen“, so Sabine Fuchs-Hintze.
Situation im Rheingau-Taunus
Trotz der Corona-Pandemie halten sich die Ausfälle an den Schulen im Rheingau-Taunus-Kreis in Grenzen. Während an den Haupt- und Realschulen so gut wie keine personellen Engpässe vorhanden seien, gelte es vor allem die Lücke an den Förderschulen zu füllen, so Claudia Keck, Leiterin des Staatlichen Schulamtes. Auch der Kreiselternbeirat beklagt weniger die Versorgung mit Lehrkräften als das Problem der Klassengrößen. Dies sei nach wie vor ein Zustand, der sich nur schwer in den Griff bekommen lasse. Darüber hinaus fehle die Zeit für eine sorgfältige Unterrichtsvorbereitung sowie eine individuelle Lernbegleitung. Mehr Personal sei gerade für die Teilung von Lerngruppen erforderlich, die aus mehreren Klassen bestehen würden. Dies betrifft unter anderem Fächer wie Religion, die zweite Fremdsprache oder den Wahlunterricht. Gerade hier bedürfe es einer verstärkten Aufsicht, um etwa flexible Pausen zu gewährleisten. Mit den Hygieneauflagen sind für Schulen ungewohnte Beeinträchtigungen verbunden. So sei für viele Lehrer mit dem Tragen einer Mund-Nase-Maske eine enorme Anstrengung verbunden. Auch sonst gängige Unterrichtsformen, wie beispielsweise Gruppenarbeit und Schülerexperimente, sind aufgrund der Auflagen derzeit nicht möglich. Der Mangel an Bewegung durch eingeschränkte Sportmöglichkeiten ginge außerdem zu Lasten der Motivation und Stimmung der Schüler. Lehrer sind außerdem zu einer verschärften Dokumentationspflicht angehalten, hinzu kommt ein zusätzlicher Aufwand aufgrund des Distanzunterrichts für Schüler in Quarantäne.
Mit dem digital-gestützten Unterricht kann für die Dauer der Corona-Pandemie Präsenzunterricht an beruflichen Schulen, in der Sekundarstufe II sowie in besonderen Fällen auch in den Klassenstufen acht bis zehn der allgemein bildenden Schulen auf Basis des Hessischen Schulgesetzes ersetzt werden. Dabei gilt eine Obergrenze von 25 Prozent der Unterrichtsstunden und für die Berufsschule von 50 Prozent. Beim digital-gestützten Distanzunterricht können verschiedene Lern- und Lehrmethoden zur Anwendung kommen. Über den Einsatz klassischer Videokonferenzsysteme hinaus können neuartige, zum Teil vom Klassenverband und der Lehrkraft entkoppelte Unterrichtssequenzen eingebaut werden. In der derzeitigen Situation gelte es, etwas Druck und Belastung zu reduzieren, wurde aus dem Kreiselternbeirat Rheingau-Taunus geäußert. Dies könne etwa durch eine Reduzierung von Unterrichtsstoff, Klassenarbeiten und Unterrichtsstunden ermöglicht werden.
Das geht uns alle an
Im Rahmen der gemeinsamen redaktionellen Verbandsinitiative „Das geht uns alle an“ berichten die Wochenblätter seit 2013 gemeinsam über bundesweit bedeutsame Themen – aus ihrer jeweils individuellen, sublokalen Perspektive.
Im November 2020 wurde eine umfassende lokale Berichterstattung zum Thema „Lehrermangel“ durchgeführt. Die redaktionelle Initiative wurde bundesweit unter dem Dach der BVDA-Kampagne „Das geht uns alle an“ und in Kooperation mit dem unabhängigen Recherchezentrum CORRECTIV koordiniert.
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