VRM Wochenblätter

29.09.21 | Zukunft

Das Rad der Zeit dreht sich weiter

Das Europäische Raumflugkontrollzentrum steuert von Darmstadt aus sämtliche Satelliten der Europäischen Weltraumorganisation ESA

von Michael Schmutzer-Kolmer

 

Das Rad ist – wie man sieht – Grundlage so einiger häufig genutzter Redewendungen im sprachlichen Alltag. Aus dem Leben ist es heute nicht mehr wegzudenken. Schon der Physiker Ernst Mach urteilte 1883: „Nehmen Sie uns das Rad – und wenig wird übrig bleiben. Es verschwindet alles. Vom Spinnrad bis zur Spinnfabrik, von der Drehbank bis zum Walzwerk.“ Das gilt natürlich erst recht für den Transportsektor. Mensch und Material werden heute hauptsächlich auf Rädern bewegt.

Die Entwicklung des Rades. Foto: 2009 James Group Studios Inc

Die einen, so sagt man, haben ein Rad ab, die anderen drehen am Rad. Manch einer fühlt sich wie das fünfte Rad am Wagen und versucht dabei, nicht unter die Räder zu kommen.

Gerne würden die einen auch nochmal das Rad der Zeit zurück-drehen, um mit dem Wissen von heute nochmal das (ganz) große Rad zu drehen.

Sehr praktisch ist es für viele Prozesse und Tätigkeiten im Alltag, wenn ein Rad ins andere greift. Warum dann also das Rad neu erfinden?

Pedale suchte man bei den ersten Rädern vergeblich. Foto: thorabeti – stock.adobe

Ursprung nicht sicher geklärt

So ganz genau lässt sich der Ursprung des Rades nicht zurückverfolgen. Das drehbar befestigte Rad, also „unendlich“ drehbar um eine Achse, konnte – laut Internetlexikon Wikipedia – mit Steinwerkzeugen angefertigt werden. Als Erste wendeten wohl im 5. Jahrtausend v. Chr. Töpfer am Indus (Asien) dieses Prinzip bei der Keramikherstellung als Töpferscheiben an.

Miniaturräder aus Ton soll es nördlich des Schwarzen Meeres bereits vor 4000 v. Chr. gegeben haben. Erste unmittelbare Funde von Karren, Rädern, Wagen oder deren Modellen gibt es aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr. in Europa.

Die älteste gut datierte Rad-Achsen-Kombination stammt aus dem Laibacher Moor bei Ljubljana in Slowenien, dessen Rad in die Jahre um 3000 v. Chr. datiert wurde.

 Speiche stammt aus der Metallzeit

 Eine metallzeitliche (Kupfer-, Bronze-, Eisenzeit) Erfindung war die Speiche, die um 2000 v. Chr. im Orient eingeführt wurde. Mit dem stabilen und leichten Speichenrad baute man sogenannte Streitwagen, also zweirädrige Fahrzeuge. Da Zweirädrigkeit eine gute Methode war, das Gewicht zu vermindern, wurden später auch anspruchsvollere Einachser gebaut.

Als Material wurde jahrtausendelang nur Holz verwendet. Hatten die ersten Speichenräder bronzene Speichen, so baute man im weiteren Verlauf der Bronzezeit und danach überwiegend hölzerne Speichenräder, an denen nur die auf der Achse reibende Innenfläche der Radnabe und die äußere Lauffläche der Felge mit Metall beschlagen war. Metallspeichen wurden erst ab dem 19. Jahrhundert wieder führend, sei es wegen höherer Lasten und Geschwindigkeiten wie im Eisenbahnverkehr, sei es, nachdem die Erfindung des Speichensturzes es erlaubte, sehr leichte stabile Räder mit dünnen gespannten Drahtspeichen zu bauen, wie sie heute vor allem beim Fahrrad üblich sind.

Erst mit der Erfindung der Dampfmaschine und des Verbrennungsmotors, die höhere Transportleistungen und Geschwindigkeiten ermöglichten, wurden die Räder vollkommen in Eisen, später aus Stahlblech zusammengeschweißt als Felge ausgeführt. Die geschmierten Nabenhülsen wurden durch Wälzlager ersetzt. Räder für geringe Belastungen wurden in Leichtbauweise mit Drahtspeichen versehen, die vorgespannt und auf Zug belastet werden.

Die Ausbildung der Räder wurde immer auf die zu befahrende Oberfläche (erst später Wege und Straßen) abgestimmt, beziehungsweise die Oberfläche entsprechend den erhöhten Anforderungen verbessert. So entstanden: 

  • Stahlreif auf Holzkranz für Räder von Schubkarren, zwei- oder vierrädrige Wagen, Fuhrwerke oder Kutschen auf Acker, Feld- beziehungsweise Bohlenwege oder Pflasterstraßen oder der ersten kommerziell betriebenen elektrischen Straßenbahn in Deutschland auf Schienen
  • Hartgummireif auf Holz- oder Gusseisenkranz für die ersten Kraftfahrzeuge, länger auch noch für die Lastwagen auf Pflasterstraßen
  • Luftreifen auf Felge für Straßenfahrzeuge und Flugzeuge auf Asphalt- oder Betonstraßen

 Vom Holzrad zum Gummireifen

Einblicke in die geschichtliche und aktuelle Entwicklung von Fahrrad- und Autoreifen hat die erst kürzlich stattgefundene Mobilitätsausstellung IAA in München gebracht: Die ersten Fahrräder vor 135 Jahren waren demnach noch mit Holzrädern unterwegs, ebenso wie die ersten Autos, die wie Pferdekutschen aussahen. Charles Goodyear, John Dunlop und Édouard Michelin trugen um das Jahr 1900 dazu bei, dass an Fahrrädern heute Gummireifen Standard sind. Ihre Namen verbindet man mit den wichtigen Reifen-Produzenten. Zur selben Zeit entwickelte Continental als erster deutscher Hersteller den Fahrrad-Luftreifen.

Die beiden bekanntesten Reifenarten sind mittlerweile der Drahtreifen und der Faltreifen. Bei einem Drahtreifen ist die Gummimischung mit Drähten zum Schutz vor Durchschlägen versehen. Der Faltreifen ist eine Weiterentwicklung, bei dem die Drähte durch dünne, leichte, aber stabile Kevlarfäden ersetzt werden. Das spart Gewicht.

Schlauch wird leichter – und digital

Der Drang nach Gewichtsreduktion hat eine spannende Innovation hervorgebracht: Den Tubeless-Reifen. Hier gibt es keinen Schlauch, die Luft wird allein vom Reifen gehalten. Durch die fehlende Reibung des Schlauchs am Mantel ist der Rollwiderstand geringer. Empfohlen wird die Tubeless-Technologie für Mountainbikes, weil hier die Reifen voluminöser sind als bei Stadt- oder Rennrädern und die Montage dadurch einfacher gelingt. Zudem ermöglichen sie die Fahrt mit unter zwei Bar Reifendruck, was bei Geländefahrten von Vorteil ist. Zum Vergleich: Rennräder werden gern mit acht Bar und mehr gefahren.

Angetrieben von der Tubeless-Technologie werden Fahrradschläuche weiterentwickelt. Sie sind beispielsweise aus Kautschuk, Latex oder Thermoplast. Eine weitere Innovation ist die Digitalisierung der Druckmessung mittels Reifenchips oder Ventilaufsatz, die von einer App ausgelesen werden und den Druck anzeigen.

Autoreifen werden intelligenter

Und wie sehen eigentlich die Autoreifen der Zukunft aus? Die großen Hersteller haben ganz klare Konzepte vor Augen: Die Pneus werden grüner, intelligenter und flexibler.

Stichworte sind gewichtsparende Leichtbautechnologie per optimierter Gummimischung, selbstheilende Kräfte bei Schäden durch Nägel, Steine oder sonstige Gegenstände mit einem Durchmesser von bis zu 5 mm in der Lauffläche mittels Schicht aus einem klebrigen Dichtmittel. Zahlreiche Hersteller verfolgen insbesondere luftlose Reifenkonzepte mit hoher Steifigkeit. Der innovative Reifen entsteht per 3D-Druck, das spart Material, Gewicht und Kosten. Mit Sensoren bestückt ist er auch noch smart und kann beispielsweise den Zustand der Straße oder des Reifenprofils genau analysieren.

Eine derzeit getestete Rad-Reifen-Kombination besteht aus Aluminiumfelgen, Kompositmaterialien und Gummilauffläche. Die Felgen sind untrennbar mit der Lauffläche des Reifens verbunden. Die Speichen aus Polyesterharz und Glasfaser sollen für eine hohe Tragfähigkeit sorgen. Er kommt ohne Luftdruck aus, soll praktisch wartungsfrei sein.

Das Rad der Lüfte. Foto: Aliaksandr Marko – stock.adobe

Entsorgung und Nachhaltigkeit

Die Entsorgung von Altreifen ist nicht gerade umweltfreundlich: Ausrangierte Pneus werden geschreddert und deponiert oder verbrannt. Nur ein Bruchteil wird wiederverwendet. Und es gibt noch ein Problem: Die Versorgungssicherheit von Naturkautschuk ist durch grassierende Pilze gefährdet.

Hersteller und Wissenschaft forschen bereits am nachhaltigen Reifen. Denn für Anbauflächen von herkömmlichem Naturkautschuk müssen besonders in Asien immer größere Regenwaldflächen weichen. Ingenieure arbeiten am Einsatz von Löwenzahn, aus dem Latex – Kautschuk in flüssiger Form – gewonnen wird.

Pneus für autonomes Fahren

Autonomes Fahren ist derzeit in aller Munde. Aber wie sieht dann eigentlich die Bereifung aus? Die künftige Fahrzeuggeneration stellt völlig andere Anforderungen an die Pkw und Lkw von heute. Mit neuen Kugelreifen könnten sich autonomen Fahrzeuge flexibel durch den Verkehr schlängeln – vorwärts, seitwärts, ja sogar diagonal. Bewerkstelligen soll dies eine Magnetschwebetechnik, die ohne mechanische Verbindung zum Fahrzeug auskommt. Das Reifenprofil aus elastischen Polymeren wird per 3D-Druck erzeugt und imitiert die bionischen Strukturen der menschlichen Haut. Ein schaumartiges Material darunter ermöglicht dem Pneu, sich flexibel Fahrbahnoberflächen und Witterungsbedingungen anzupassen. Sensorennetze sollen bei nasser oder rutschiger Fahrbahn dafür sorgen, dass die Geschwindigkeit automatisch angepasst wird. Zugleich werden die Daten auch an andere Fahrzeuge bzw. der Verkehrsinfrastruktur weitergegeben und umgekehrt.

Dank künstlicher Intelligenz kann der Reifen sein Verhalten fortlaufend optimieren. Mithilfe der Sensorik lassen sich zudem Schäden lokalisieren und das Profil entsprechend verändern. Dazu bewegen sich Materialien in Richtung der betroffenen Region und schließen beschädigte Oberflächen.

Ein 2018 vorgestellter Konzeptreifen verfügt im Inneren sogar über Moos. Aufgrund seiner offenen Struktur und mithilfe seines Laufflächen-Designs soll dieser Wasser von der Fahrbahnoberfläche absorbieren und zirkulieren lassen. So wird der Prozess der Photosynthese in Gang gesetzt, der Sauerstoff in die Umgebung freisetzt. So wagen sich die Hersteller auch an Flugtaxis. Geht das Fahrzeug in den Flugmodus über, drehen sich die Räder um 90 Grad, und beginnen als Rotoren zu arbeiten. Die Radspeichen sind nämlich so ausgeformt, dass sie als Rotorblätter dienen und für Auftrieb sorgen.

Wie auch immer: Konzeptreifen verleihen der Diskussion um intelligente, sichere und nachhaltige Mobilität neue Impulse.          

Quelle: IAA Mobility

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Luna Heisel, 16 Jahre alte Gymnasiastin aus Mommenheim in Rheinhessen, war vom 5. bis 15. Juli Schülerpraktikantin dieses Wochenblatts am Redaktionsstandort Darmstadt. In Vor­bereitung dieser Sonderausgabe „Zukunft – mutig.machbar.menschlich“ entstand damals die Idee, dass sie als ­16-Jährige einmal formuliert, wie sie sich als Vertreterin der jungen Generation „die“  beziehungsweise „ihre“ Zukunft vorstellt und welche Anforderungen in Zukunft wohl auf sie und die Menschheit zukommen werden…

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