VRM Wochenblätter

Nov 24, 2021 | Spielen

Warum spielt der Mensch?

Zwischen „Mensch ärgere dich nicht“ und Mammutjagd

Von Ralph Kuhn

Abstrakte Spiele, Familien-, Strategie- und Themenspiele, Kinder- oder Partyspiele – der Mensch spielt gerne. Angesichts der Flut an Angeboten im klassischen wie im digitalen Bereich und den Erfahrungen der eigenen Kindheit ist dies natürlich eine Binsenweisheit. Die Beweggründe sind verschieden: Der Mensch spielt zum bloßen Zeitvertreib, er spielt aus Gier, wie im Glücksspiel deutlich wird, er spielt aber auch, um Erklärmodelle, mit denen sich bestimmten Problemstellungen beikommen lässt, zu entwickeln. Und gerade in diesem Ansatz könnte eine der Wurzeln des spielerischen Verhaltens begründet sein.

Brettspiele erfreuen sich noch immer großer Beliebtheit. Foto: stock.adobe

Homo ludens

Wann und zu welchem Zweck genau der Mensch auf die Idee kam, zu spielen, liegt im Dunkel der Geschichte. Es ist durchaus möglich, dass es zur Vorbereitung des Nachwuchses auf die Jagd entstanden ist oder zur Verdeutlichung einer bestimmten Taktik zur Bejagung einer schwierig zu erlegenden Beute. Daraus könnten dann an langen Winterabenden, als es nur wenig zu erbeuten oder sammeln gab, aus dem Ausknobeln einer bestimmten Variante zur Erlegung von Wild im kommenden Frühling durchaus irgendwann eine Art Wettbewerb um die beste Idee entstanden sein.

Wie gesagt, könnte. In jedem Fall folgt dieses Gedankenspiel dem Erklärungsmodell des „Homo ludens“, des „spielenden Menschen“, wie es 1938/39 von Johann Huizinga formuliert wurde. In seinem gleichnamigen Buch will er das Spiel als kulturbildenden Faktor verstanden wissen. Dass der Mensch also seine kulturellen Systeme von Religion über Wirtschaft bis hin zur Politik aus spielerischen Verhaltensweisen heraus entwickelt hat. Und diese wurde dann, so der Autor, im Laufe der Zeit über Ritualisierungen institutionell verfestigt.

Auf der Suche nach den Anfängen kann man es sich natürlich auch einfach machen und dem Ansatz der alten Griechen folgen. Denn laut deren Mythologie wurde das Spielen von den Göttern erfunden. Und wer versagt sich schon einem Vergnügen, dass göttliche Wurzeln hat? Selbst manches Spielgerät soll göttlichem Genie entsprungen sein: So heißt es, das der Gott Hermes den Würfel zum Spielen erfunden habe. Folgt man archäologischen Quellen, so wird schon seit über 4000 Jahren gewürfelt.
Überhaupt ist es die Archäologie, die uns die ältesten greifbaren Hinweise in Sachen Spiele liefert. So wurde im Gebiet des heutigen Irak auf dem königlichen Friedhof der sumerischen Stadt Ur ein Spielplan des „Königlichen Spiels von Ur“, einem Brettspiel für zwei Personen, ausgegraben, der gut 4 500 Jahre alt sein dürfte. Gut 5000 Jahre alt sind die ältesten Hinweise auf das ägyptische Brettspiel „Senet“. Ein Spiel für zwei Personen, das sich auch im Grab des Pharaos Tut-Anch-Amun gefunden hat – wobei sicher ist, dass auch schon vorher Spielen gefrönt wurde, etwa auf einfachen, in den Sand gezeichneten Spielfeldern, wie es bis heute bei sogenannten Mancala-Spielen in Afrika gehandhabt wird, die gerne als die ältesten Spiele überhaupt bezeichnet werden. Doch fehlen hierzu eindeutige Belege.

Zeitlose Klassiker

Alte Spiele wie Go, Mikado oder Mühle haben bis heute nichts an Beliebtheit eingebüßt. Go erfreut sich außerhalb Chinas und Japans allerdings erst seit gut 100 Jahren eine größere Fangemeinde. Zwar ist der heutige Name dieses strategischen Brettspiels für zwei Personen japanischen Ursprungs, doch liegen die Wurzeln des Spiels in China. Erste Hinweise gibt es aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert. Doch erst um die Zeitenwende wird es dank archäologischer Funde greifbar.

Ebenfalls unter einem asiatisch klingenden Namen bekannt ist ein anders zeitgenössisches Spiel: Mikado. Doch das Geschicklichkeitsspiel wurde schon vor 2100 Jahren bei den Römern gespielt. Anhand der Anordnung der in der Hand gedrehten und dann auf eine ebene Fläche fallen gelassenen Stäbchen wurde ursprünglich orakelt. Aus der Fähigkeit des Spielers, die Stäbchen einzeln aus der Anordnung heraus zu entfernen, ohne andere Stäbchen dabei zu bewegen, wurden entsprechende, auf den Spieler bezogene Rückschlüsse gezogen.

Das älteste bekannte Brettspiel stammt aus dem alten Ägypten und heißt „Senet“. Foto: stock.adobe-fcw5

Auch Kaiser spielten gerne

Backgammon, eine Mischung aus Strategie- und Glücksspiel, zählt ebenfalls zu den ältesten Brettspielen der Welt. Seine Ursprünge liegen, wen wundert es, im viel bemühten Dunkel. Der erste nahe Verwandte der heutigen Variante findet sich im römischen „Ludus duodecim scriptorum“, dem „Zwölflinienspiel“. Selbst die römischen Kaiser, wie Claudius, waren begeisterte Spieler. Mit dem Alter populärer Spiele ist dies überhaupt so eine Sache. So gibt es zwar schon in der Jungsteinzeit dem heutigen Spielfeld entsprechende Steinritzungen, die sich auch im alten Ägypten wiederfinden, doch ist strittig ob es sich dabei schon um ein Spielfeld oder bloße Dekoration handelt. Sicher nachgewiesen ist die große Mühle in Europa erst in christlicher Zeit im Byzantinischen Reich. Doch laut dem Dichter Ovid spielten bereits die Römer eine einfachere Variante, die kleine Mühle, mit weniger Linien und Spielsteinen. Mit dem Alter populärer Spiele ist dies überhaupt so eine Sache. So gibt es zwar schon in der Jungsteinzeit dem heutigen Spielfeld entsprechende Steinritzungen, die sich auch im alten Ägypten wiederfinden, doch ist strittig ob es sich dabei schon um ein Spielfeld oder bloße Dekoration handelt. Sicher nachgewiesen ist die große Mühle in Europa erst in christlicher Zeit im Byzantinischen Reich. Doch laut dem Dichter Ovid spielten bereits die Römer eine einfachere Variante, die kleine Mühle, mit weniger Linien und Spielsteinen.

„Die ‚Proletarisierung‘ der Spiele setzte erst im 19. Jahrhundert ein“

Im Laufe der Zeit wurde das Spielangebot immer größer. So kam seit dem 7. Jahrhundert Schach hinzu, dem jedoch weitestgehend in „Besseren Kreisen“ gefrönt wurde. Die „Proletarisierung“ der Spiele, sieht man von Karten und Würfeln ab, setzte erst im 19. Jahrhundert ein. In den USA durch Verlage wie Parker und Milton Bradley, besser bekannt unter dem Kürzel MB, in Deutschland durch Ravensburger.

Zu den Klassikern der letzten gut hundert Jahre gehört das „Mensch ärgere dich nicht“ ebenso, wie „Risiko“ oder „Die Siedler von Catan“. Jedes Jahr entstehen weltweit neue Spielideen.
Und das Computerzeitalter hat das Angebot noch einmal vervielfacht. Ob für sich, zu zweit oder mit einer (fast) unendlichen Zahl an Mitspielern wird hier mit immer spektakuläreren Spielen und raffinierteren Spielumgebungen der Spielfreude gefrönt. Nicht immer zur Freude der Eltern, wenn ihr Nachwuchs nächtelang am Computer zockt, und die Freude allmählich der Sucht weicht, die das reale Drumherum immer mehr in den Hintergrund drängt.

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