VRM Wochenblätter

08. Apr 2022 | Gesellschaft

Generationenvertrag – „… so ist es Mühe und Arbeit“

Versorgung im Alter – von der Familienangelegenheit zum Generationenvertrag heutiger Prägung

von Ralph Kuhn

„Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen“, so steht es in Psalm 90 des Alten Testaments zu lesen. Und zu allen Zeiten trieb den Menschen die Frage um, was geschieht, „wenn ich, nach aller Mühe und Arbeit nicht mehr für meinen Lebensunterhalt arbeiten kann“?

Die Absicherung der Generationen übernimmt heute die Allgemeinheit.  Foto: Fotalia.WavebreakmediaMicro

„Die jeweils Arbeitstätigen sorgen dafür, dass die jeweils Alten ihr Renteneinkommen haben, und erwerben damit das Anrecht, in ihrem eigenen Alter von den dann Arbeitstätigen mitversorgt zu werden.“

Wilfrid Schreiber

Betrachtet man das Verhältnis der Generationen zueinander, so kann man feststellen, dass das Zusammenleben in jedweder Gemeinschaft, zumindest in vorindustrieller Zeit, stets von einem Miteinander und einer gewissen Fürsorge geprägt war. Dafür zuständig war – und hier herrschte allgemeiner Konsens – in erster Linie die Familie. Man war füreinander da, zog die Kinder auf und bot den älteren Familienmitgliedern einen gesicherten Lebensabend. Wobei Letztere sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiterhin einbrachten.

War dies nicht möglich, so war der Einzelne auf die Unterstützung karitativer Einrichtungen wie Waisenhäuser oder Spitäler sowie, im schlimmsten Fall, das Wohlwollen seiner Mitmenschen angewiesen. Spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts lösten sich diese Strukturen, nicht zuletzt bedingt durch die sich verändernden Erwerbsbedingungen, allmählich auf: Der Solidaritätsgedanke wurde immer mehr verallgemeinert, das heißt mittels der frühen Sozialgesetzgebung auf die Gesellschaft als Ganzes übertragen.

Am deutlichsten spiegelt sich dies im Verhältnis der arbeitenden zur nicht mehr erwerbstätigen Bevölkerungsgruppe wieder. Hierbei erwirtschaftet die eine Generation als anonymisierte Masse, das Einkommen, das heißt in diesem Fall die Rente, einer zweiten, in ihrer Gesamtheit ebenfalls anonymen Generation. Diese erhält dabei ihr Einkommen, ohne selbst eine aktuelle Gegenleistung zu erbringen. Rechtlich fixiert im eigentlichen Sinne ist dies nicht, dessen ungeachtet hat sich für diese Verfahrensweise der Begriff „Generationenvertrag“ eingebürgert, ohne das hier tatsächlich ein einklagbarer Vertrag entstanden ist.

Historische Entwicklung

In den 1880er Jahren erkannte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck die politische Sprengkraft der im Zuge der Industrialisierung entstandenen extremen sozialen Gegensätze. Mittels seiner Sozialgesetzgebung respektive der Sozialgesetze wollte er einerseits eine Antwort auf die soziale Not der Arbeiterschaft geben und andererseits der sozialistischen Bewegung den Nährboden zu entziehen.

So wurde 1883 die Krankenversicherung, 1884 die Unfallversicherung und 1891 die gesetzliche Rentenversicherung, in die jeweils hälftig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern eingezahlt wurde, eingeführt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden mit dem beginnenden „Wirtschaftswunder“ neue Ansätze in Sachen Rentenversicherung angedacht. Wilfrid Schreiber, Wirtschaftstheoretiker und Verfechter der Katholischen Soziallehre, gilt gemeinhin als „Vater der umlagefinanzierten dynamischen Rente“ heutiger Prägung.

Er versuchte damals, den oben beschriebenen vorindustriellen „Solidarvertrag“ innerhalb der Familie, in die industrielle Gesellschaft zu übertragen. Sein Rentenentwurf bildete 1957 die Grundlage des Rentensystems in der Bundesrepublik. Für ihn stellte sich in der industriellen Gesellschaft erstmals das Problem der Verteilung des Lebenseinkommens auf die drei Lebensphasen Kindheit, Erwerbsalter und Lebensabend. Schreiber schlug in einer Denkschrift 1955 einen „Solidar-Vertrag zwischen jeweils zwei Generationen“ vor, das heißt, die „jeweils Arbeitstätigen sorgen dafür, dass die jeweils Alten ihr Renteneinkommen haben, und erwerben damit das Anrecht, in ihrem eigenen Alter von den dann Arbeitstätigen mitversorgt zu werden“. Ebenso sollte für die Kinder mittels einer „dynamischen Kindheits- und Jugendrente“gesorgt werden.

Die Versicherungspflicht sollte dabei auf alle „Arbeitstätigen“ ausgeweitet werden, auch auf die „selbstständigen Arbeitstätigen“. Dabei sollte die Einkommensgrenze der Versicherungspflicht aufgehoben werden. Die gesetzliche Rentenversicherung sollte damit, so die Idee, auf eine möglichst breite Basis gestellt werden.

Schreiberplan

Nach Schreibers Vorstellungen sollte sowohl Kindern und Jugendlichen (vor Erreichung des 20. Lebensjahrs) wie den Alten (nach Vollendung des 65. Lebensjahrs) ein Anteil aus der Gesamtheit der Arbeitseinkommen zugesichert werden. Die mittlere Generation sollte, neben der Unterstützung der Alten, zugleich mit Rentenbeiträgen aus dem Erwerbseinkommen für die nachwachsende Generation sorgen. Dementsprechend war neben der Altersrente eine Kindheits- und Jugendrente vorgesehen. Unverheiratete Kinderlose sollten dabei den doppelten Beitrag zahlen (verheiratete Kinderlose den 1,5-fachen Beitrag) wie Verheiratete mit zwei Kindern.

Der „Schreiber-Plan“ wurde nur teilweise umgesetzt. Zwar wurden die Erwerbstätigen dazu verpflichtet, dynamische Renten an die nicht mehr erwerbstätige Generation zu zahlen. Eine „dynamischen Kindheits- und Jugendrente“, die Schreiber als „Preis“ für die dynamische Altersrente betrachtete, wurde dagegen nicht verwirklicht.

Das Bundesfinanzministerium und die Deutsche Rentenversicherung definieren den Generationenvertrag als „unausgesprochenen Vertrag“ zwischen der beitragszahlenden und der rentenbeziehenden Generation. Sie sehen das Konzept des Generationenvertrags auf eine „staatlich organisierte Unterhaltspflicht der mittleren Generation gegenüber der älteren Generation“ beschränkt.

Nach wie vor wird an diesem Konzept festgehalten. Doch wird angesichts der demografischen Entwicklung schon seit einigen Jahren darüber nachgedacht, die Rente zumindest zum Teil zu privatisieren. Das heißt, dass die Arbeitnehmenden sich zumindest zum Teil selbst um ein auskömmliches Einkommen im Alter kümmern müssen. Und wenn das nicht ausreicht, ist dann doch wieder die Familie gefragt – und wenn nicht (mehr) vorhanden, die Allgemeinheit…

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