VRM Wochenblätter

Heimat ist Genuss  

„Keine Liebe ist aufrichtiger als die Liebe zum Essen“, bemerkte einst George Bernard Shaw (1856-1950), irischer Dramatiker, Politiker, Satiriker, Musikkritiker und Pazifist 

von Sabine Thoennes-Hofmann

Kochen wie Oma: Manche Rezepte werden von Generation zu Genaration „vererbt“.
Foto: Halfpoint / stock.adobe.com

Essen nimmt seit jeher einen hohen Stellenwert ein. Sei es, um zu überleben, oder einfach für den Genuss. Ob ein Butterbrot oder das Fünf-Gänge-Menü bei Kerzenschein – ob hastig während der Arbeitszeit gegessen oder gemeinsam im Freundeskreis zelebriert: Wir verbringen einen Großteil unserer Lebenszeit damit, zu essen. Und damit, unsere Mahlzeiten zuzubereiten.

Kein Wunder, dass in den letzten Jahren ein regelrechter Hype um Ernährungsfragen entstanden ist. Foren und Kochsendungen schießen aus dem Boden wie Phönix aus der Asche und immer mehr Menschen schließen sich an. Und die Trendwelle rollt ungebrochen weiter.

Dabei rücken insbesondere die Themen „regionale Zutaten“ und „Nachhaltigkeit“ immer mehr in den Fokus: Umweltbewusstes Kochen zeichnet sich durch Zutaten aus, die in der hiesigen Region in der entsprechenden Jahreszeit produziert werden. So dominieren im Winter Kohlgerichte, im Frühling beginnt die Erdbeer- und Spargelzeit, im Sommer füllen Paprika und Zucchini unsere Teller und im Herbst locken Pfifferlinge und Kürbisse.

Wer nach dem regionalen Prinzip handelt, stellt schnell fest: Essen ist Heimat. Und Heimat ist Genuss. Dies wird deutlich, wenn wir einen Blick über den Tellerrand – oder in diesem Fall die Ländergrenze – wagen: So ist der Mittelmeerraum für seine mediterrane Kost bekannt, aber auch die asiatische Küche unterscheidet sich sehr von unseren – eher deftigen – Speisen.

Wenn man sich mit den einzelnen Gerichten innerhalb Deutschlands beschäftigt, wird ebenfalls schnell deutlich, dass es große regionale Unterschiede gibt, wie Labskaus im Norden und die Weißwurst mit Brezel im Süden. Zugegeben: Zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen liegen Pi mal Daumen rund 1000 Kilometer. Kein Wunder also, dass sich im Laufe der Jahrhunderte unterschiedliche Spezialitäten entwickelt haben.

Wesentlich beeindruckender ist, dass es auch in unserer Region Gerichte gibt, die bereits in benachbarten Landkreisen unbekannt sind oder völlig anders benannt werden. Zum Beispiel Dulges, der unter diesem Namen hauptsächlich im Lahn-Dill-Kreis auf die Teller kommt. Geriebene Kartoffeln werden in einen Bräter oder eine Auflaufform gegeben und im Backofen gebacken. Zum Verfeinern kann klein geschnittene Mettwurst unter den Teig gemengt werden. Sehr lecker, auch wenn „Low Carb“ anders funktioniert. Fragt man allerdings im Raum Gießen nach Dulges, wird man größtenteils ein Kopfschütteln ernten. Kein Wunder, die Gießener kennen dieses Gericht unter dem Begriff „Schalet“. Auch im Hinterland wird die Spezialität größtenteils so benannt. Apropos Zubereitung: Hierfür gibt es keine einheitliche Richtlinie. So sind beispielsweise Dulges-Rezepte, bei denen der Teig mit Eiern oder Speck zubereitet wird, ebenso zu finden wie Rezepte ohne diese Zutaten.

Doch nicht nur bei den Gerichten selbst gibt es Unterschiede, auch bei entsprechenden Veranstaltungen rund um den Genuss. Schon mal was von Kartoffelbrott gehört? Nein? Kein Wunder: Der Brauch ist hauptsächlich in der Biedenkopfer Region bekannt und wird dort nach wir vor von einigen Vereinen regelmäßig zelebriert, oftmals ist auch die Bevölkerung eingeladen. Treffpunkt ist in der Regel eine Grillhütte, wo gleichzeitig die Geselligkeit gepflegt werden kann.

Für den Kartoffelbrott wird bereits morgens ein Feuer aus Buchenholz entzündet. Im Laufe des Tages verfällt das Holz zu Kohle. Dann geht es los: Die Kartoffeln werden so wie sie sind – ohne Alufolie oder Ähnliches – auf die Kohle gelegt, damit sie „ausschwitzen“. Anschließend werden sie zum Garen mit Kohle bedeckt. Das Ergebnis: ein ungewöhnlicher, aber leckerer Kartoffelgenuss der besonderen Art mit rauchigem Aroma.

Ja, die Menschen im Hinterland wissen zu feiern. Nicht nur der Kartoffelbrott, auch die Bratpartie erfreut sich dort größter Beliebtheit. Das Prinzip ist einfach: Man nehme eine Grillhütte (alternativ ein Feuerwehrhaus oder Vereinsheim), gekühlte Getränke sowie jede Menge Steaks und Würstchen und lade jedermann dazu ein. Das Ergebnis: ein bunter Haufen aus Menschen aller Alters- und Gesellschaftsschichten und eine schöne Gelegenheit, um ausgiebig miteinander zu klönen und zu feiern.

Fazit: Es muss nicht immer Sushi sein. Es lohnt sich durchaus, sich mit den Köstlichkeiten und kulinarischen Gepflogenheiten in der hiesigen Region zu beschäftigen. Also nichts wie hin zur nächsten Bratpartie oder dem Kartoffelbrott. Und auch Dulges oder Schalet sollte man einmal probiert haben.

Grüne Soße. Foto: Boomie / pixabay

Rezepttipps

Schalet: Zwei Kilogramm Kartoffeln reiben und mit Salz würzen. Speck, Mettwurst und Blutwurst anbraten, zwei in Würfel geschnittene Zwiebeln mitbraten. Alles in die Kartoffelmasse einrühren. Einen Esslöffel Mehl untermengen. Die Masse in einen Bräter geben und im Backofen bei 200 Grad Ober- und Unterhitze etwa eine Stunde garen.

Rezept von Erika H., geboren 1933, aus dem Landkreis Gießen, die das Rezept bereits von ihrer Mutter übernommen hat. Anmerkung: Da die Familie der Mutter zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts keinen Backofen besaß, wurde das Gericht ursprünglich in einer Pfanne auf dem Herd zubereitet. Bei den Kartoffeln lautete die ursprüngliche Mengenangabe „einen halben Eimer Kartoffeln“, beim Salz gibt es keine konkrete Mengenangabe, es wurde – und wird auch heute noch – nach Gefühl gewürzt. Gleiches gilt für die Wurst und den Speck: Genommen wurde, was gerade verfügbar war. Wer das Gericht nachkochen möchte, kann als groben Richtwert je 125 Gramm Mettwurst, Blutwurst und Speck verwenden.

Kalte Kräuter Sauce: Man nimmt 2 hart gekochte Eigelbe, rührt sie mit 2 Löffel voll Öl recht fein, thut gehackte Borage, Pimpinelle, Schnittlauch und etwas Estragon dazu, dann einige Löffel sauern Schmad, Essig und das nöthige Salz.

Quelle: Hessisches Kochbuch von 1840, Eine Sammlung zum Kochen und Einmachen (Druck: Marburg. Druck und Verlag von R.G. Elwert. 1840).

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