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Schiefer gibt’s nicht

Gau-Weinheimer Turm holt Rekord

von Redaktion

Nochmal abrocken. Foto: Jehavo/AdobeStock

Der alte Wehrturm ist seit Sonntag offiziell der schiefste Turm der Welt.
Foto: Rudolf Uhrig

Es gibt Begriffe, die gehören einfach zusammen. Tempo-Taschentuch, Zewa-Rolle, Labello-Stift, da haben Unternehmen in Sachen PR das große Los gezogen. Auch im Tourismus sind solche alltagssprachlichen Synonyme Gold wert. Hört man „schiefer Turm“, kommt als Zusatz automatisch „von Pisa“. Noch.  

„Der schiefste Turm der Welt steht in Rheinhessen“, diese Nachricht machte jüngst in der internationalen Presse die Runde. Das Rekord-Institut für Deutschland hat offiziell bestätigt, dass der Dorf-Glockenturm in der Gemeinde Gau-Weinheim der schiefste Turm auf der ganzen Welt ist. Der frühere Wehrturm wurde 1749 zum Glockenturm umgebaut. Begradigt wurde er nicht. 5,4277 Grad beträgt die Neigung, womit die knapp vier Grad des 1173 erbauten Kult-Bauwerks in Italien deutlich geschlagen werden. Ebenso wie der Turm im ostfriesischen Suurhusen, der seit 2007 mit 5,19 Grad Rekordhalter war, seinen Titel jetzt aber abgeben muss.  

Suur-was? Genau, nur weil ein Turm schief ist, ist das noch längst kein touristischer Selbstläufer. Zwar hat der „Schiefe Turm von Gau-Weinheim“ inzwischen einen eigenen Wikipedia-Eintrag, aber dass seither die Touristenströme in die 600-Einwohner-Gemeinde im Kreis Alzey-Worms gewandert wären, ist nicht bekannt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Von 10000 Besuchern pro Jahr war in der 1100-Einwohner-Gemeinde Suurhusen die Rede, bis Rheinhessen den Norddeutschen den Weltrekord abspenstig gemacht hat. Von den Hunderttausenden, die Jahr für Jahr für ein Selfie mit dem – allerdings auch ungleich höheren – Kult-Turm in die Toskana pilgern, ist man also noch ein Stück entfernt.

Rheinhessen und seine Institutionen, der Kreis Alzey-Worms, die Verbandsgemeinde (VG) Wörrstadt und die Gemeinde wollen nachziehen. Ein Turmfest gibt es in Gau-Weinheim schon, man kann den schiefen Turm als Anhänger kaufen. Und der Turm am Fuße des Wissbergs kippt weiter, um 0,04 Grad binnen 30 Jahren. Eine große Strahlkraft erhoffen sich unisono Landrat Heiko Sippel und Ortschronist Erwin Gottschlich. 

Der neue Rekord-Titel spielt Tourismus und Marketing in die Karten, ist die Region Rheinhessen doch bestrebt, sich als Reiseziel bekannter zu machen – und dabei auch mit Kultur und Freiluft-Aktivitäten zu punkten. Was also liegt näher, als bei einer Hügelwanderung den schiefen Turm von Gau-Weinheim zu besuchen?

6000 Euro, eingesammelt auf einer Crowdfunding-Plattform des Energieanbieter EWR, machten den Rekord-Eintrag möglich. Vielleicht geht es für Gau-Weinheim auch noch ins Guinness-Buch der Rekord, doch das kostet noch mehr Geld. Schließlich handelt es sich nicht um staatliche Zertifikate, sondern um privatwirtschaftliche Unternehmungen, die die Rekord-Listen pflegen. Und damit für imageträchtige Titel sorgen.

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