VRM Wochenblätter
Zwischen Tradition und Moderne
Wie sieht die Zukunft des Weinbaus aus? Welche Fortschritte und Herausforderungen warten auf die Winzer?
von Marie Huhn
Rheingau. Steigende Temperaturen, Starkregen, Überschwemmungen, aber auch Umweltschutz und die zunehmende Digitalisierung – die Liste der Herausforderungen für den Weinbau ist lang. Doch wie wird es Winzern in der Region im Jahr 2050 tatsächlich gehen und wie wird ihr Wein schmecken?
Mithilfe von Drohnen können Nährstoffe und Pflanzenschutzmittel ohne großen Abtrieb im Weinberg verteilt werden. Foto: Institut für Technik / Tilo Ronschke
Walluf, 1. September 2050: Tatjana Schmidt steckt mitten in der Lese. Gleich nach dem Aufstehen schickt die 57-Jährige deshalb ihre autonomen Roboter in den Weinberg. Der Winzerin bleibt so genug Zeit für die restlichen Arbeiten: Die Drohnen zur Nährstoffversorgung der Reben müssen neu programmiert werden, Social-Media-Beiträge warten darauf, vorbereitet zu werden, und bald kommen ja auch schon die ersten Gäste zur Weinprobe mit den neuen starken Rotweinen Jahrgang 2049.
„Das wäre schon cool, oder?“, beendet Tatjana Schmidt die Gedankenspiele über ihre eigene Zukunft mit einem Lachen. Noch ist die Walluferin erst 28 Jahre alt und betreibt gemeinsam mit ihren Eltern, ihrer Schwester und Großeltern das Weingut Friedel Russler. Von Roboter-Lesemaschinen und Drohnen ist im September 2021 noch nichts zu sehen. Und doch werden im Wallufer Weingut schon jetzt die ersten Weichen für das Jahr 2050 gestellt. Zum Beispiel, indem der Familienbetrieb komplett auf einen biologischen Anbau umstellt. „Wir haben schon in den letzten Jahren ausprobiert, organisch zu düngen und Pestizide zu reduzieren“, berichtet die gelernte Winzerin. Denn auch wenn der Rheingau bisher relativ wenig von Naturkatastrophen betroffen gewesen sei, zeige der Blick auf verbrannte Weinberge in Kalifornien und überschwemmte Felder im Aartal auf erschreckende Art und Weise den fortschreitenden Klimawandel – der ganz sicher die Zukunft der jungen Frau prägen wird: „Wir als Winzer leben von der Natur und müssen deshalb besonders auf sie achten – jetzt schon und in Zukunft umso mehr.“
Weltweit führende Einrichtung
Klimatische Veränderungen und deren Einfluss auf den Weinbau – mit diesem Thema beschäftigt sich seit vielen Jahren als eine der führenden Einrichtungen weltweit die Hochschule Geisenheim. Im Labor, aber auch im Weinberg, versucht man hier, schon jetzt einen Blick in die Zukunft zu werfen. Mit den sogenannten FACE-Anlagen mitten im Weinberg beispielsweise wird untersucht, wie sich die Reben entwickeln, wenn der CO₂-Gehalt in der Luft bis 2050 um 20 Prozent steigt, wie Klimaforscher prognostizieren. Im Jahr 2022 soll auch eine Agro Photovoltaikanlage über den Reben installiert werden, um Anpassungsreaktionen der Reben auf den Klimawandel zu untersuchen. „Wir hatten auch in den vergangenen Jahren immer wieder trockene, heiße Jahre – ab 2050 werden Temperaturen ab 40 Grad im Sommer aber eher die Regel, als die Ausnahme werden“, prognostiziert Prof. Dr. Manfred Stoll, Leiter des Instituts für allgemeinen und ökologischen Weinbau an der Hochschule Geisenheim. Das wirke sich auf die Rebentwicklung und die Traubengesundheit aus. „Die Sorten werden in Zukunft auch einem größeren Krankheitsdruck ausgesetzt sein“, erklärt Stoll. Die Lösung hierfür könnten pilzresistente Sorten sein, an denen man seit Jahren forsche. Erhöhten sich die Sonnenscheinstunden, bringe das aber auch weitere Herausforderungen mit sich: „Bei mehr Sonne werden die Trauben schneller reif“, erklärt der Hochschulprofessor. Um die Reife zu verlangsamen, könne man die Anzahl der Blätter an den Reben verringern. Doch je weniger Blätter, desto weniger Schatten für die Trauben und desto höher die Gefahr, dass die Trauben einen Sonnenbrand bekommen oder vertrocknen.
Sorten aus Südeuropa möglich
Nicht nur die Gefahr, einen Sonnenbrand zu bekommen, teilen vor allem die weißen
Traubensorten mit den Menschen. Gerade dem Riesling ist es bei Temperaturen über 40 Grad eigentlich zu heiß. In Zukunft werde man daher auch im Rheingau Sorten anbauen können, die man heute nur aus Südeuropa kennt, erklärt Stoll. Heißt das also, in Zukunft wird es keinen Riesling mehr aus dem Rheingau geben? „Das glaube ich nicht“, beruhigt der Institutsleiter, denn: „Jede Region hat mit ihren Sorten eine Tradition, außerdem gibt es Maßnahmen, durch die man dem Wandel nicht komplett ausgeliefert ist.“ Der richtige Pflanzenschutz, Maßnahmen zur Beschattung und Bewässerung zum Beispiel. Gerade über die Versorgung der Pflanzen mit Wasser wird bereits heute intensive Forschung betrieben: „Wasser ist eine knappe Ressource, deshalb müssen wir die Bewässerungssysteme so optimieren, dass sie möglichst effizient sind“, erläutert Stoll. Möglich machten das technologische Systeme, die partiell genau erfassten, wie viel Wasser die Rebe benötigt.
Modernste Technik im Weinberg: Das ist schon heute keine bloße Fantasie mehr. Autonom fahrende Lesemaschinen, Pflanzenschutz per Drohnen im Steilhang, um so den Abtrift von Pflanzenschutzmitteln minimal zu halten, und Apps, die genaue Daten über jede einzelne Rebe bereithalten – all das kennt man an der Hochschule bereits, bei den Winzern allerdings noch wenig. „Zum einen ist es natürlich eine Kostenfrage, zum anderen sind beim Thema Wein alle sehr sensibel“, meint Stoll. Heißt: Auch wenn es Technik gibt, die die Arbeit erleichtert, werden wohl auch in Zukunft Maschinen nicht das Handwerk des Winzers komplett ersetzen können. „Es geht alles nur als Kombination aus Mensch und Technik“, so Stoll.
Eine Mischung aus Tradition und Moderne, so stellt sich auch Tatjana Schmidt die Zukunft in ihrem Wallufer Weingut vor. „Man sollte sich dem Fortschritt nicht verwehren, denn es gibt viele Entwicklungen, die einem helfen können, sodass man nicht sagen sollte: Wir machen etwas nicht, nur weil es seit Jahrzehnten auch ohne Technik klappt“, findet sie. Bis sie aber tatsächlich ihre Roboter zur Lese schickt, sieht sie noch einen langen Weg. „Ich glaube, dass in dem Bereich viele andere Branchen schneller sein werden, weil dort mehr Geld drin steckt“, so Schmidt. „Der Weinbau lebt von vielen kleinen Betrieben, bei denen es – aus Zeit- und Kostengründen – immer etwas länger dauert, bis sich etwas verändert.“
Social Media statt Messe
Wo die 28-Jährige, die Anfang des Jahres ihr Studium an der Hochschule Geisenheim abgeschlossen hat, aber schon heute moderne Technik nutzt, ist im Bereich der Vermarktung. Mit einer modernen Webseite inklusive Webshop und rund 1700 Abonnenten auf Instagram ist das Weingut Friedel Russler vielen Weingütern durchaus ein paar Schritte voraus. „Früher sind wir auf Messen gegangen, die teilweise sehr viel gekostet haben, ohne dass man wusste, wie viele Menschen man damit erreicht hat“, sagt Schmidt. Über soziale Netzwerke habe man die Möglichkeit, komplett kostenlos neue Kunden anzuwerben und gleichzeitig über den Webshop „ganz easy“ den Wein zu verschicken.
Auch zur Vernetzung könne das Internet helfen. Als Mitglied der Rheingauer Jungwinzer ist Schmidt mit etwa 50 Gleichgesinnten aus der Region im ständigen Austausch – zum Beispiel auch über die Themen Umweltschutz und den Umgang mit zukünftigen Herausforderungen.
Mit der Forschungsanlage FACE untersucht die Hochschule Geisenheim, wie sich ein erhöhter CO2-Gehalt auf die Reben auswirkt. Foto: Hochschule Geisenheim
Noch muss Tatjana Schmidt selbst ran bei der Lese. Übernimmt die Aufgabe in Zukunft eine autonome Lesemaschine? Foto: Dominic Hassmann / Nexxt Pictures
„Wir schwimmen alle im gleichen Teich, deshalb ist es doch viel cooler, wenn wir uns gegenseitig unterstützen“, findet Schmidt. Letztlich könne man nur in der Gemeinschaft etwas verändern, denn: „Es geht eben nicht nur darum, was für die einzelnen Winzer wichtig ist, sondern für die ganze Region.“
Mehr Umweltschutz, neue digitale Möglichkeiten, viel Austausch und Zusammenarbeit, das sind die Aspekte, die Hoffnung für den Weinbau der Zukunft machen. Extreme Wetterbedingungen, Wassermangel, Pilzkrankheiten und damit verbundene Ertragsverluste stellen sicher die größten Herausforderungen dar, denen sich die Winzerinnen und Winzer der Zukunft stellen müssen. Wie der Weinbau im Jahr 2050 aussehen wird, hängt aber letztlich von noch zu vielen Unwägbarkeiten und Vermutungen, vielen Falls und Wenns ab, als dass man ein genaues Bild zeichnen könnte. Und doch scheint eines, fragt man Stoll und Schmidt, gesichert zu sein: Der Weinbau hat eine Zukunft, die zwar von Herausforderungen und Veränderungen, aber nicht ausschließlich Sorgen geprägt ist. Denn schmecken wird der Wein der Zukunft auch im Jahr 2050 ganz sicher noch.
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