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Eine vergessene unterirdische Welt entdecken

Nahezu 2000 große Löcher unter mittelhessischer Erde: Die Geschichte des Bergbaus prägt bis heute die Region

von Redaktion

Wurde Siegfried in Heppenheim ermordet?<br />
Foto: Karl-Heinz Köppner

Mit Vollgas ab ins Loch: Bergwerksführerin Natalie Zinke fährt die Besucher mit der unterirdischen Bahn in das Labyrinth der Grube Fortuna. Foto: Stefan Becker

Mehr Löcher unter der Erde als festen Grund finden sich in weiten Teilen Mittelhessens: Der von der Keltenzeit bis in die 1980er-Jahre betriebene Bergbau hinterließ allein im Lahn-Dill-Gebiet fast 2000 unterirdische Stollen. Teilweise lagen die Bergwerke so dicht beieinander, dass man von einem ins nächste übersteigen und weite Entfernungen zurücklegen konnte, ohne je aus dem Loch aufzutauchen. Heute ist eines der größten (und tiefsten) Erzabbaugebiete Europas so gut wie vergessen. Selbst die direkten Anwohner wissen wenig über die Löcher, in denen vor allem Eisenerz, aber auch Kupfer, Mangan und sogar Silber abgebaut wurden.

Schon die Kelten haben Eisenerz abgebaut

Der Bergbau und die Verhüttung der Erze haben die Region nachhaltig geprägt: Nicht die Ballungsräume, sondern der Lahn-Dill-Kreis und die angrenzenden Gebiete sind die am stärksten industrialisierte Region Hessens. Seit dem 15. Jahrhundert wurden hier Stollen in die Erde getrieben, die Löcher des Tagebaus sind noch sehr viel älter: Schon die Kelten haben an der „Eisernen Hand“ bei Tringenstein Eisenerz abgebaut und verarbeitet. Sie starteten das größte und tiefste Erz-Tagebau-Loch Mitteleuropas, aus dem im letzten Abbauzyklus 1938 bis 1959 noch über eine halbe Millionen Tonne Erz geholt wurde. 

Zu dem riesigen Loch, das zurückblieb, führen heute mehrere Wanderwege. Wer richtig ab ins Loch will, kann im Lahn-Dill-Gebiet zwei ehemalige Bergwerke erkunden: Das Besucherbewergwerk der bis 1983 betriebenen Grube Fortuna bei Solms-Oberbiel und die Grube Ypsilanta bei Dillenburg-Oberscheld. Warum nur zwei der fast 2000 Schächte zugänglich sind, erklärt Uwe Spamer vom Bergbau- und Feldbahnverein Schelderwald, dem Betreiber des Besucherstollens Ypsilanta: „Die meisten Bergwerke liegen unter dem Wasserspiegel der Flüsse und Bäche. Gab es einen Stromausfall, beispielsweise in Kriegszeiten, standen die Pumpen still und die Stollen liefen zum Teil über Nacht voll. Das bedeutete oft das Ende des jeweiligen Abbaus.“

Abenteuerspielplatz für Erwachsene

Auch die unterste Sohle der Grube Fortuna steht unter Wasser, aber auf 150 Meter Tiefe wartet ein gigantischer Abenteuerspielplatz für Erwachsene. Mit dem Förderkorb geht es in die Tiefe, dort mit einem atemberaubend schnellen Bähnchen, auf dem man sich im Freien sitzend um Gleichgewicht bemüht, zu den ehemaligen Arbeitsplätzen der Bergleute. Bergwerksführerin Natalie Zinke und ihre Kolleginnen und Kollegen erklären die Sicherungssysteme, werfen donnernde Maschinen an und zeigen die engen senkrechten Löcher mit Eisenleitern, über die man zwischen den Sohlen hin und her klettern kann. Bei der vierstündigen Abenteuertour, die ebenfalls buchbar ist, klettert man durch diese Löcher die 150 Höhenmeter zurück ans Tageslicht. Oben warten noch eine Grubenbahn, ein Abenteuerspielplatz für Kinder, das Grubenmuseum und eine gepflegte Gastronomie.

Arbeit der Bergleute wird erlebbar

Ruhiger geht es bei der Grube Ypsilanta zu. Der 156 Meter tiefe Förderschacht ist verfüllt, der Förderkorb wurde nach der Aufgabe der Grube im Jahr 1934 in einem anderen Schacht weiterverwendet und das überflutete Bergwerk wurde zur Trinkwasserversorgung der Stadt Dillenburg. Dafür haben die Vereinsmitglieder Relikte und Geräte des Bergbaus aus der ganzen Region zusammengetragen und machen das Leben und die Arbeit der Bergleute hautnah erlebbar. Über einen Entwässerungsstollen geht es mit Handlampen waagerecht in den Berg, um Handwerkzeug und Maschinen, Förderloren, Bergmannsstiefel und sogar die spartanische Toilette der Bergleute zu entdecken. Man erfährt, dass alles Material wiederverwendet, Nägel gerade geklopft und Schrauben nachgeschnitten wurden, oder dass ein Bergmann mit Schlägel und Bohrer eine ganze Schicht damit verbrachte, ein bis zwei Sprenglöcher ins Gestein zu treiben. Im umliegenden Wald lassen sich die Ruinen von Förderanlagen und Schachteingänge von anderen Gruben entdecken, die zeigen, wie dicht die Löcher hier beieinanderliegen.

Informationen zu Führungen und weiteren Angeboten gibt es im Internet unter www.grube-ypsilanta.de und https://grube-fortuna.de.

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